Mittwoch, 31. Juli 2013

Informationsreise nach Bukavu

Bei meinem Herkommen nach Goma musste ich einmal mehr feststellen, dass es im Congo extrem schwierig ist, mit jemandem in Kontakt zu kommen. Zwar haben die meisten Menschen eine e-mail Adresse. Doch der Zugang zu einem Computer oder Internetkaffee, das fehlende Geld oder schlicht die nicht vorhandene Internetantenne machen das Erreichen eines Gesuchten noch immer äusserst schwierig.

Ich schreibe das, weil ich bei den Kursanmeldungen feststellen musste, dass sich niemand aus der benachbarten Provinz Bukavu angemeldet hatte! Die Stadt Bukavu mit immerhin 2 Mio Einwohnern liegt nur einige zehn Kilometer südlich von Goma! - Mein Freund Dr.Jo Lusi hatte mich vorgewarnt, als er mir schon bald nach der Begrüssung erklärte: Menschen, die man berühren möchte, denen muss man zuerst begegnen und sie überzeugen!

Aus diesen Feststellungen heraus wuchs in mir die Idee, nach Bukavu zu fahren! Schliesslich ist es möglich mit einem Schiff dorthin zu gelangen. Nachdem mein Entschluss gefällt ist, bitte ich den dortigen Präsidenten des örtlichen Pfarrvereins unsere Kollegen zusammenzurufen.

Samstag, den 20.Juli

Um 7.30 sind wir auf dem Schiff „Corvette“. Wir fahren mit dem beachtlichen Tempo von 60 km/h über den prächtigen See. Störend ist nur die omnipräsente Television mit ihrem starkem Lautsprecher. Nach 3 Std. - wir sind an der Insel Idjwi vorbeigefahren – landen wir in Bukavu und werden von Pfarrer Kabamba empfangen.

Erste Station:

Wir haben die Gelegenheit die beiden Kirchenpräsidenten – sogar im Rahmen einer Synode - zu begrüssen. Dabei stellt sich heraus, dass wir uns vor 43 Jahren – anno 1970 – kennen gelernt haben!Wir sind hoch erfreut und von starken Gefühlen bewegt! - Das ist wunderbar, denn so ahne ich, dass wir mit unserem Bildungsprojekt gute Aufnahme finden.

Zweite Station:

Ich möchte gerne Dr. Mukwege im Panzi Hospital kennen lernen. Dr. Mukwege ist mittlerweile durch das Buch von Colette Braekman „L'homme qui répare les femmes“ (der Mann, die die Frauen wiederherstellt) in der ganzen Welt bekannt geworden. Man darf ihn ohne weiteres „Bekämpfer sexueller Gewalt“ nennen! Er wohnt jetzt wieder in seinem Spital, nachdem er letzten November mit seiner Familie fliehen musste. Die Bevölkerung hat sich mit aller Kraft für seine Rückkehr eingesetzt! Ein Mann von grossem Wuchs empfängt uns in seinem Büro. Gleichzeitig spüre ich auch meine Anspannung: Ist mein Besuch gerechtfertigt? Ein leidenschaftliches Gespräch nimmt seinen Verlauf.
  • die sexuellen Gewalttaten haben ein unvorstellbares Ausmass erreicht. Man darf nicht mehr von bestialischen Verhalten reden, denn solches verdient keinen andern Namen als dämonisch.
  • Dr. Mukwege bringt eine lautstarke Anklage gegen die Kirchen vor. Diese verschlössen ihre Augen vor der Realität ohne einen Finger zu rühren! Sollen sie doch von diesen Praktiken reden und sie öffentlich anklagen!
  • Unserem Weiterbildungskonzept gegenüber bringt er hohe Wertschätzung zum Ausdruck! Ja, in erster Linie geht es um verletzte Menschen, die eine umfassende Begleitung brauchen: wir sind auf der gleichen Wellenlänge!
  • Er prangert die alberne Absurdität des gegenwärtigen Krieges an, denn dieser ist mit keinem einzigen Argument mehr zu rechtfertigen! Er kann nur ein seltsames Komplott zwischen den einzelnen Drahtziehern MONUSCO (UNO-Streitkräfte) und FARDC (kongolesische Armee) als Grund ausmachen. Dieser Mann ist erfüllt von seiner Mission, Frauen wiederherzustellen und einem heftigen Zorn gegen die grauenhaften Vergewaltigungspraktiken und die internationale Gemeinschaft, die weitgehend nur zuschaut.
Dritte Station:

Um 14 h treffen wir auf die Gruppe Interessierter, die Pfarrer Kabamba zusammengerufen hat. Jetzt haben wir die Gelegenheit, über unser Weiterbildungskonzept in Seelsorge zu sprechen! - Wir entdecken zudem, dass wir in Pfarrer Kabamba einen vortrefflichen Kämpfer für unsere Sache haben, ist er bereit, mit weiteren möglichen Interessierten in Kontakt zu treten, um ihnen unsere Arbeit vorzustellen.- Auch Professor Bernard Ugeux versichert mir per sms, dass er uns weitere Namen Interessierter zur Verfügung stellen wird! So finden wir auch den Kontakt zu unseren katholischen Brüdern! Das freut uns ganz besonders.

Fazit: wir sind mit 17 Schlüsselpersonen zusammen, die uns aufmerksam zuhören! Wir teilen mit ihnen unsere Erfahrungen und Visionen für eine pastorale Begleitung, die diesen Namen verdient

. Wir haben also grösstes Interesse gefunden! Wir konnten unsere Freunde innerlich berühren. Bleibt höchstens die Sorge, wie können wir so viel Interessierte ein nächstes Mal aufnehmen? Doch das ist die kleinste Sorge! - Wir sind tief berührt, wir fangen an, uns zu duzen, es kommt uns vor, als stünden wir zusammen vor einem grossen Abenteuer!

Vierte Station:

Das Schiff fährt um 18 h los, allerdings nur mit geringer Geschwindigkeit, so sind wir die ganze Nacht im Salon der ersten Klasse auf der oberen Etage unterwegs! Es hat genügend Kanapees, die uns ein Nickerchen erlauben. In der zweiten Klasse sind die Menschen viel enger, doch ist sehr ruhig und still. Zu dritt können meine zwei Co-leiter und ich eine Auswertung des Erlebten vornehmen. Nun bin ich noch dabei das Erlebte niederzuschreiben und kann danach zur Ruhe kommen.

Freitag, 19. Juli 2013

Die erste Woche von Jean-Claude Schwab in Goma

en français...

Die erste Woche in Goma Auch wenn manchmal alle Zeichen auf Grün stehen, gibt es Momente, in denen es aussieht, als würde sich die Welt ins Gegenteil kehren.

Tote Stadt

Am Freitag den 28.Juni – Tag des Kursbeginns – werde ich um 4h35 durch ein sms geweckt. Der knappe Satz enthält ein generelles Verkehrsverbot für den ganzen Tag in der Stadt.

Ich finde den Schlaf nicht wieder. Allerlei geht mir durch den Kopf. Was bedeutet dieses Verbot? Geschieht etwas Neues an der militärischen Front? Fällt unser Kursbeginn ins Wasser? Müssen wir alles begraben?

Zur abgemachten Zeit 6h50 gehen wir zum Tabernakel, in dem Joël der eine meiner Co-leiter predigen wird. Es stellt sich heraus, dass es sich nicht um ein offizielles Verbot handelt, sondern bloss um eine Bürgeraktion, die die Autofahrer dazu einladen möchten, nicht in den Verkehr zu gehen, sondern friedlich gegen die immer noch nicht reparierten Strassen zu protestieren. Dies obwohl die Regierung schon längst grosse Summe für die Reparaturen gesprochen hat.

Verantwortlich für den Kurs sind Tsongo, Joël und Jean-claude
Kontakt mit den Aerzten – ein Flop?

Um 8h30 treffen wir uns mit den Aerzten des Hôpital Civil Provincial von Goma. Unser Ziel ist es, sie über unser Projekt zu informieren und der Anwesenheit unserer 12 Kursteilnehmer zuzustimmen. Wir hoffen auf eine gute Zusammenarbeit. Doch kaum jemand erscheint, das Putzpersonal ist noch an der Arbeit. Endlich erscheinen einige, um 9h35 können wir mit 17 Aerzten beginnen. Sie scheinen merkwürdig uninteressiert. Sie geben ihrer Befremdung Ausdruck. Zusammen mit Alfred Mbuta und Joël Kavuna präsentieren wir ihnen unser Konzept der Seelsorgearbeit und Weiterbildung: Begegnung, Präsenz, Sein im Hier und Jetzt, Hingabe Gottes in unsere Welt.

Die Atmosphäre entspannt sich, die Vorbehalte schwinden, Zweifel bleiben noch.

Dann unvermittelt wendet sich das Blatt, sie öffnen sich dieser Perspektive, sie begrüssen die Absicht, ja wünschen sich solches dringend! Da berichtet einer von einem jungen Patienten, der unter einem rasch zunehmenden Krebs leidet. Eine Art Revolte unter den Anwesenden ist zu spüren! Wir tauschen intensiv darüber aus! Schliesslich werden wir einig, dass wir sie zu diesem Patienten begleiten werden! Unser Zusammensein endet damit, dass die Anwesenden uns „vorwerfen“ warum seid ihr nicht schon früher gekommen?“ Sie geben zu verstehen, dass das was wir bringen wollen, für sie einem lange gehegten Bedürfnis entspricht!

Die Kursteilnehmer vor dem Spital
Samstag, den 29.Juni, zweiter Kurstag.

Elf der zwölf Angemeldeten sind anwesend! Wir treffen auf eine Gruppe von Menschen, die sehr motiviert sind, sich einzusetzen, Initiativen zu nehmen. Ich freue mich sehr und bin erleichtert!

Überraschung

Am Abend kehren wir in unsere „Behausung“ bei Dr. Jo Lusi zurück. Wir finden eine stattliche Gruppe von Menschen. Sie verteilen sich auf die Veranda und das dazugehörige Seegelände. Das Wasser ist still, eine wunderbare Ferienstimmung! Die Rückkehr einer Nichte von Dr.Lusi wird gefeiert. Augenblicklich sind auch wir eingeladen. Dr. Lusi sitzt in der Mitte der Feiernden wie ein alter Weiser! Wir reden und reden zusammen bis ein kühler Abendluft uns ins Haus ruft. Jo Lusi erzählt die Geschichte seiner Region der letzten Jahrzehnte. Herzhaftes Vertrauen, Weisheit und ein erstaunlicher Optimismus kennzeichnen ihn. Er ist überzeugt, dass sein Land jetzt bei einer entscheidenden Wende zum Besseren angelangt ist: die Zivilgesellschaft erwacht und setzt sich für wichtige Anliegen ein. Jetzt komme die Wellen auf. Zeit, sich zurückzuziehen..

Montag, 15. Juli 2013

Sonntag, den 23.Juni, morgens

en français...

Zusammenkunft beim Land Rover von Dr. Lusi zur Abfahrt in den Gottesdienst der Gemeinde „Heal Africa“.

Wir erreichen das Stadtzentrum über völlig zerstörte Strassen. Steine, ganze Felsbrocken liegen überall, der Belag ist aufgebrochen und schadhaft. Wir werden so durchgeschüttelt, dass mir fast übel wird. Die Verantwortlichen haben offensichtlich beschlossen, den Belag erst gesamthaft aufzubrechen vor dem Einbringen eines neuen Belags. Doch nun stehen auch Wahlen an und es ist zu befürchten, dass das Geld für die Strassen in die Wahlkampagnen fliesst.

Unser Gottesdienstort heisst „Tabernacle“. Man wollte vermeiden eine neue Kirchendenomination zu gründen und setzte den Gottesdienstbeginn auf 7h30 fest, damit danach jeder in seine Kirche gehen kann. Dieser „Tabernacle“ wurde auf Kosten von Dr. Lusi gebaut.

Daneben befindet sich das Reha-zentrum der Frauen, die in irgendeiner Form Vergewaltigung erlebt haben. Sie bleiben öfter für längere Zeit, und können Grundkenntnisse in den verschiedensten Berufen erwerben. Wenn sie dann in ihre Dörfer zurückkehren, werden sie geachtet und geniessen Respekt. Sie unterrichten nun andere, um sich im Leben besser als bisher zurechtzufinden. Dieses Reha-zentrum, sowie das Spital und der Tabernakel sind auf den Grundmauern der früheren durch Lavamassen im Jahre 2002 zerstörten Gebäude aufgebaut.

Löcher von 2 bis 3 Kubikmetern Grösse wurden in die Lava gegraben, mit Erde angefüllt und mit Bäumen bepflanzt. Weitere werden in Angriff genommen.

Wir werden von Pfarrer Bizzi begrüsst, er ist einer der drei Spitalpfarrer, die an unserem Kurs teilnehmen werden, auch Aerzte und ihre Familien sind da.

  • Der erste Teil des Gottesdienstes wühlt mich auf: ein Chor der „Kinder der Strassen“ singt und tanzt zum Text: „Wenn wir in den Himmel kommen, wird man fragen, wer sind denn die da ? und man wird sagen: Das sind die, die Jesus vertraut haben“. Diese jungen Leute zwischen 12 und 20 tragen stark farbige Kleider um zu unterstreichen, wir sind würdige Menschen wie alle andern. Für meinen Freund Jo Lusi ist es ein Problem, dass diese jungen Leute es wohl ernst meinen, im Kampf ums Überleben aber schnell wieder schreckliche Kämpfe mit ihresgleichen ausfechten
  • Der Chor der Kinder ohne Väter Sie singen, tanzen, vollbringen tolle Figuren zu populärer christlicher Musik. Sie erzählen in ihren Liedern von den Kindern in den Wäldern, wo die Väter unbekannt und die Mütter meist abwesend sind...
  • Der Chor der Gehörlosen Vor einer Gruppe von etwa dreissig Gehörlosen sitzt eine Frau, die alle Aussagen und Gebärden des Chors in Worte übersetzt.Der Chor folgt dem Rhythmus eines Schlaginstruments (einige hören den Rhythmus, andere achten auf ihre Kameraden). Schliesslich dreht die Chorleiterin den Spiess um und berichtet von dem, was die Gehörlosen ausdrücken wollen.

    Es wird eine immense Freude ausgedrückt. An der Basis steht eine der Grundregeln von Heal Africa „Gesundheit soll daran erkannt werden, was die Aermsten ausstrahlen.“ Jo Lusi fügt bei: „Ihnen wollen wir unsere grösste Sorge und Aufmerksamkeit schenken!“
Schliesslich werden wir von zwei Aerzten begrüsst, der eine ist der Stellvertreter und Nachfolger von Jo Lusi, sie kommen eben von einer Reise durch die Ostprovinz zurück. Sie konnten eine Reihe von Operationen durchführen. Wie die Kinder den Gottesdienstraum für die Sonntagschule verlassen, bilden wir eine bunte Schar. Kranke sind da, Behinderte in Rollstühlen, andere an Krücken. Alle sind wichtig, alle werden geehrt und sind willkommen.

Beim verlassen werden uns Getränke serviert, die Mittellosen erhalten auch Lebensmittel.

Zurück auf die wunderschöne Parzelle von Jo Lusi. Ein feines Frühstück wird uns gereicht. Darauf folgt auch eine Suppe. Jo Lusi erklärt uns jetzt, dass er sich für den Rest des Sonntags zurückziehen will. Er findet für sich Erneuerung in der Stille. Endlich gelingt es mir nun unseren Freund Tsongo – Spitalpfarrer und Spitaldirektor in Bunia – ans Telefon zu bekommen. Er teilt mir mit, dass er um 17h in Goma landen wird.

Ich schreibe diese Zeilen in einem sehr geräumigen Zimmer von Lusis Haus. Mein Blick schweift weit über die Veranda und den wunderbaren Kivusee. Er erstreckt sich unendlich weit Richtung Süden, die Sonne scheint von Norden, weil wir uns ja auf der südlichen Hemisphäre befinden. Ich erlebe den See weit wie ein Meer, das Wasser ist unruhig.

Natürlich ist wieder einmal eine Strompanne, doch das macht kein Problem, ich kann meine Geräte an einem Sonnenspeicher wieder aufladen!

Jean-Claude Schwab