Donnerstag, 27. November 2014

Ein erstaunliches Projekt
ohne Hilfe von aussen entstanden



Es hat sich so eingebürgert, im Laufe eines langen Weiterbildungskurses etwas besonderes miteinander zu unternehmen.. Für dieses Jahr haben wir das Bergdorf Karuba in der Region Masisi gewählt. Dort möchten wir ein „Nehemia-komitee“ treffen.

Die Medizinorganisation Heal Africa hat in ihrer ganzheitlichen Gesundheitsauffassung seit Jahren in den Dörfern „Nehemia-komitees“ ins Leben gerufen. Man hat Nehemias Namen gewählt, weil er beim Aufbau von Jerusalem und eines geordneten neuen Stadtlebens massgeblich beteiligt war. Diese Komitee vereinigen eine Reihe von Dorfverantwortlichen – Muslime und Christen – Beamte und andere wichtige Leute. Zur Hauptsache haben sie sich zum Ziel gesetzt, Konflikte zu bearbeiten und zu lösen, und sich für die Einhaltung von Menschenrechten stark zu machen. Sie setzen sich ein für die Wiederaufnahme in die Gesellschaft vergewaltigter Frauen und für eine Neuverteilung von Erbgütern an Witwen, die bisher leer ausgingen.

Zum vereinbarten Treffen brauchen wir eine Fahrt von ungefähr anderthalb Stunden. Die Strassen sind allerdings so, dass sie die besten 4x4 Fahrzeuge auf eine harte Probe stellen. Wir fahren steil nach oben in Meereshöhen zwischen 2000 und 2500m. Wir sind froh, dass Pfarrer Bolingo alles aufs Beste organisiert hat. Bolingo trägt die logistische Verantwortung für unseren Kurs (er wurde im Frühjahr 2014 in die Kursleiterausbildung aufgenommen). Er klärt uns auch darüber auf, dass derzeit 131 Dörfer mit Nehemia-komitees arbeiten und sich so aktiv für Friedensstrukturen einsetzen.

Wir werden herzlich empfangen und zur „Friedenshütte“ begleitet. Die Männer setzen sich in zwei Halbkreisen vor uns, hinter ihnen breitet sich die packend schöne Landschaft aus. Wir realisieren, dass Frauen fehlen und sind erstaunt. Man weist uns dann darauf hin, dass zu diesem Zeitpunkt die meisten Frauen auf dem Markt tätig sind. Wenigstens eine stösst dann noch zu uns.

Wir erfahren, dass im Dorf Karuba mehrere Personen angefangen haben, sich für die Umsetzung der Menschenrechte zu interessieren. Damit war der Boden für die Schaffung eines Nehemia-komitee bereitet. Sie berichten uns mit Stolz und Begeisterung aus der Arbeit dieser ersten Jahre! Sie sind sogar um 2010, als die finanzielle Unterstützung von aussen zu Ende ging, zum Entschluss gekommen dieses Gemeinschaftswerk ohne Zuwendung von aussen weiterzuführen!

Sie haben sich selbst eifrig darin geübt, Konflikte zu bearbeiten und zu lösen: bei Schwierigkeiten zwischen Ehepartnern, Familienstreitigkeiten, Stammesfehden, Erbkonflikten und bei der Durchsetzung von Rechten für Frauen. Die zahlreichen, gelungenen Schlichtungen beleben ihren Eifer immer aufs neue und schaffen neuen Motivation. Im weitern berichten sie:
  • wie sie Leute begleiteten, die von der Polizei zu Unrecht beschuldigt wurden, was im Congo leider oft geschieht. Heute gehen sie auch mit Verurteilten ins Gefängnis und überprüfen, ob jemand zu Recht eingekerkert ist oder nicht. Die Erfolge bei diesen Begleitungen sind sehr ermutigend! „Das Recht ist bei uns wiederhergestellt!“.
  • anfänglich empfingen die Kinder der Hutus keine Schulbildung. Auch dies hat sich durch die Aktivität des Komitees deutlich geändert!
  • früher wurden Frauen, die eine Gewalterfahrung gemacht hatten, aus der Gesellschaft verstossen. „Nach der Ausbildung im Komitee wurde mir klar, dass solche Frauen Opfer schlimmer Vorkommnisse sind und ab sofort das Recht haben, in einer Familie aufgenommen zu werden“.
  • wenn wir in einem Konflikt beigezogen werden, machen wir den Leuten zuerst klar, dass wir keine Richter, sondern Schlichter oder Versöhner sind. Wir reden erst aufmerksam mit beiden Parteien. Dann schauen wir uns das Umfeld an und hören gut, was man uns alles erzählt, um die Gründe für den Konflikt zu verstehen. Wir versuchen auf die Herzen zu achten. Dann bringen wir sie schliesslich zusammen und arbeiten mit ihnen beiden an einer Lösung, die möglichst für beide günstig ist.
  • heute arbeiten wir weiter an dieser Kultur und erhalten zunehmend Anfragen von umliegenden Dörfern, die eine ähnliche Arbeit bei sich einbürgern wollen.

Ein letzter Zwischenfall dokumentiert uns die Bedeutung des eben Gehörten! Bei unserer Heimkehr werden wir am Dorfausgang von der Polizei angehalten. Die Polizisten benehmen sich aggressiv. Es ist eindeutig, sie wollen ein paar Dollar! Wenig später haben uns die Leute vom Komitee eingeholt. Die Stimmung ändert schlagartig! Nichts mehr von Forderungen nach Geld, im Gegenteil, es kommt eine beinahe fröhliche Stimmung auf! Von Bedrohung keine Spur mehr!


Wenn Sie an dieser Lektüre Freude gefunden habe, mögen Sie vielleicht noch einen weiteren Bericht von Jean-Claude Schwab kosten!

R e a l i t ä t s p r ü f u n g.

Es ist Sonntag, 16.November. Zurück in meinem Zimmer geniesse ich um 14.30 eine Mittagsruhe. Mein Blick fällt auf den wunderschönen See und ich habe Zeit auf das Erlebte zurückzuschauen. Am Vormittag hatte ich erst den Gottesdienst bei Heal Afrika besucht und danach noch denjenigen der Kirche von Sophonie Kasiki, unserer Kursteilnehmerin. Was ich in diesem Gottesdienst sagen wollte, hatte ich am Samstagabend spät noch vorbereitet.

Stimmungsbild über dem See von meinem Balkon aus
Wie ich auf die Kirche von Sophonie zuging, kamen mir Zweifel über das, was ich vorbereitet hatte. Ich wollte von der Ohnmacht reden, die in uns aufkommt, wenn wir vor unüberwindlichen Bergen von Leid stehen. Äusserlich wurde der Weg immer steiler und enger, die Häuser ihrerseits immer kleiner.

Dann die Kirche! Eine Baracke aus Holz und Blech. Sie ist vor einem Jahr einer Feuersbrunst zum Opfer gefallen. Mit den Resten wurde die Baracke errichtet. Die Bänke sind niedrig und unkonfortabel. Was sollte ich hier mit meiner komplizierten Botschaft?

Aber, es wird alles anders. Schon bei der Begrüssung entdecke ich eine Gemeinschaft von Menschen voller Aufmerksamkeit und Kraft! Es folgt ein Austausch über einen biblischen Text, den alle für diesen Sonntag gelesen haben (das ist die Regel hier). Ich staune wie Frauen und Männer – eins ums andere zum Mikrofon gehen und sich ausdrücken. Persönliches, theologisches, existenzielles, offene Fragen – und der Pfarrer gibt alle Fragen zurück an die Anwesenden! Noch nie habe ich ein dermassen reifen Austausch über einem Bibeltext erlebt wie hier! Ich bin sehr berührt!

Alle meine Vorbereitungen und Vorurteile schmelzen dahin wie Eis an der Sonne. Dann ist das Wort an mir und ich versuchs. So viele aufmerksame und gespannte Gesichter! Danach sagen mir ein paar junge Leute, sie hätten sehr gut verstanden, was ich sagen wollte! Auch die beiden anwesenden Kursteilnehmer geben ihre Zusammenfassung wider und ich staune nochmals über die Genauigkeit, wie sie in ganz wenigen Worten „meine“ jetzt auch „ihre Botschaft“ mit sich nehmen.

Auf dem Heimweg mache ich noch einen Besuch im Hause von Sophonie Kasiki! Die Familie mit fünf Söhnen ist für ein Jahr von Butembo (250 km nördlich von Goma) nach Goma gezogen. Der Familienvater hat die Möglichkeit für ein Jahr bei Heal Africa zu arbeiten, um sich weiterzubilden für seine Tätigkeiten in verschiedenen NGO. Für die ganze Familie ein grosser „Mutschritt“. Ich staune nochmals von Herzen und freue mich.

Jean-Claude Schwab

Mittwoch, 5. November 2014

2014 in Goma


Wieder ein Sprung nach vorne mit dem cpt-Kurs 2014 in Goma

Am 22.Oktober nach einer wunderbaren farbenprächtigen Reise erreiche ich afrikanischen Boden...

...vom Sonnenaufgang, den halben Tag am Lauf des Nil... ...und in der Dämmerung... ...hat er über mir (und vielen andern) gewacht!

Am andern Tag bin ich für Stunden im Bus, durchquere das „Land der tausend Hügel“(Ruanda) und komme zur vorgesehenen Zeit in Goma an. Goma befindet sich an der Grenze zu Ruanda am Kivusee. Der Boden ist geformt von Lavaströmen, die vom nahegelegenen Vulkan Nyiragongo stammen. Eine Fülle von schrecklichen Ereignissen und grosse Aengsten haben sich an diesem Ort abgespielt und sind bis heute präsent. Den Menschen hier ein Zeichen der Solidarität und Aufmerksamkeit zu geben, ist die Kraft, die mich trägt.

Aufbauen auf alten Freundschaften...

Inmitten aller Unsicherheiten hat es gut getan, meinen langjährigen Freund, den Arzt Dr. Jo Lusi zu treffen. Er empfängt uns am wunderbaren Strand des Kivusees. Er hat auch ein Fahrzeug für unsere Arbeit bereit! Und nicht nur dies, er ist eine ausgezeichnete Unterstützung für den Ausbau der cpt-Arbeit im Congo! Pfarrer Bolingo – seit diesem Frühjahr in Ausbildung zum Kursleiter - trägt die logistische Verantwortung. Zu uns gesellen sich dann sehr bald meine beiden Co-leiter Samuel Aluta und Grégoire Ntobo, ich bin glücklich über ihre Anwesenheit.

Afrikanische Rhythmen

Ich muss mich erst wieder an das afrikanische Leben gewöhnen! Die Zeit wird hier wie ein reichliches Bad erlebt, Abmachungen sind wie immer unsicher. Es gilt die grossen, materiellen Einschränkungen der Menschen hier zu teilen. Das Ladegerät meines pc's hat sich schon zweimal überhitzt. Und dieses zu ersetzen, erfordert grossen Aufwand!

Land der Traumatisierten

Die Botschaft, die wir schon mehrfach gehört haben, lautet deutlich: „Hier ist jeder Mann und jede Frau traumatisiert“! Das stimmt, wenn auch auf verschiedenste Weise. Die Schüsse, die wir in der letzten Nacht um 02.30 h gehört haben, haben alle aufgeweckt. Für mich als Fremden eine sehr unangenehme Art geweckt zu werden, für die kriegsgeschädigten Menschen hier ein Anlass für unwillkürliche Reflexe und qualvolle Erinnerungen.

31. Oktober: Ankunft in Buhimba

Das Kurszentrum, in dem wir die nächsten fünfeinhalb Wochen verbringen werden, liegt in einer wunderbaren Landschaft. Es ist 15 km von Goma entfernt, wegen der schlechten Strasse braucht es aber eine Stunde für die Fahrt! Wir treffen sieben Kursteilnehmer und hoffen auf weitere fünf! Zudem die Anwesenden sind nicht diejenigen, die sich vor meiner Ankunft eingeschrieben haben..! Die Gründe für das Fernbleiben sind fehlendes Geld (Reise und 100.-$ Kursgeld), aber auch andere Gründe scheinen da hineingespielt zu haben.


3.November: erster Kurstag

Wir beenden den ersten Kurstag – und zu unserer grossen Freude kommt um 23 h der elfte Teilnehmer! Er kommt aus Béni, einem Ort, an dem letzte Woche 80 Menschen massakriert wurden. In der Folge kam es zu Protestaktionen der aufgebrachten Bürger gegen die untätigen Ordnungkräfte.

Unser Teilnehmer hat für die 300 km zwei Tage gebraucht. Er ist verheiratet mit Josephine, die letztes Jahr am Kurs teilgenommen hat! Er selber hat bei den Massakern in Nyankunde vor 14 Jahren vielen Menschen das Leben gerettet.

Heute morgen schliesslich trifft mit dem Schiff der zwölfte Teilnehmer ein! Er stammt von der Insel Idjwi im Kivusee. Die beiden letzten Teilnehmenden haben im Kurs ihren Platz eingenommen als wären sie schon immer mit uns gewesen! Bolingo bemerkt dazu: Diese Ausbildung ist eben nicht irgendeine Ausbildung, sondern Gott schickt Menschen seiner Wahl, da kommt nicht irgend jemand! Die übrigen Teilnehmenden drücken sich ähnlich aus. Es ist ihre Weise, das Chaos um die Kursanmeldungen zu interpretieren. Ich schliesse mich gerne an, auch wenn das Durcheinander mich eine Zeit lang fast krank gemacht hat.

Von Seiten der Teilnehmenden sind viele Erwartungen zu spüren – unmöglich auf sie alle einzugehen. Bei der Arbeit an den persönlichen Kurszielen wurde sehr deutlich, wie sehr sie von uns Leitenden alles erwarten. Wir konnten ihnen nur entgegenhalten, dass nur sie ihre Ziele formulieren können, die sie erreichen wollen. Sie sind ihr eigenes Instrument, sie haben alles bei sich. Schliesslich haben sie unsere Herausforderung verstanden und haben dieses „Neue“ in sich gerne aufgenommen.

Die ersten Arbeiten mit ihren schriftlichen Aufzeichnungen über ihre Seelsorgearbeit werden mit leidenschaftlichem Einsatz geleistet. Sie bekommen Freude am Vorgehen und bringen zusehends ihre Beiträge.


Beim Teilen der Lebensgeschichte sind wir überwältigt von der Tiefe und Echtheit des Erzählten. Und sie berichten Dinge aus ihrem Erlebten, die ich mir bisher nicht vorstellen konnte! Ich freue mich auf die Fortsetzung. Wir fühlen uns getragen vom gemeinsamen Suchprozess und der Hingabe des Einzelnen. Getragen fühlen wir uns auch durch alle, die im Gebet uns verbunden sind und uns stärken.

Erster Stolz und Befremden beim Anziehen der weissen Spitalmäntel (afrikanische Pfarrer ziehen für ihre Spitalbesuche weisse Mäntel an)



Besuch im (zweiten) Spital Ndosho und seiner Departemente



Um 300 Kriegsversehrte aufzunehmen, musste das Spital mit 200 Betten wetterfeste Zelte aufbauen