Donnerstag, 2. Januar 2014

Aus dem Leben eines Studenten im Congo
von Albert Kasongo

en français...

Ich, Albert Kasongo, bin Theologiestudent im achten Semester an der Université Protestante du Congo in Kinshasa. Ich erinnere mich an meine Schlussarbeit vor einem Jahr: ich hatte unter dem Titel geschrieben: „Das Studium – ein Privileg der Reichen“. Da steht der Satz „ich weiss um die Situation meines Landes, 80 von hundert Menschen meines Landes sind am Hungern und leiden an an ihrer Lebensituation. Als Folge davon geben auch viele ihr Studium auf, werden deliquent und landen in einer gewalttätigen Bande wie die der sog. „kuluna“.

In meiner ganzen Studienzeit war ich nie wirklich wohl und entspannt. Ich musste alles dringend benötigte Kleingeld für meine Familie in die Studienfinanzierung stecken.Wenn ich irgendwie wieder zu etwas Geld gekommen war, musste ich dieses fürs Studium einsetzen. Viele meiner Kameraden mussten aus diesen Gründen das Studieren aufgeben. Leider sind die Professoren selber die Ursache dieser elenden Not. Für jeden Text, jede Kopie, jede Handreichung oder kleine Dienstleistung verlangen sie Gebühren. Als Folge sind viele Studenten stundenlang zu Fuss unterwegs. So habe auch ich gelebt. Aus all diesen Anstrengungen ist mir eine chronische Hämorrhoide geblieben. Nun habe ich insgesamt fünf Jahre an der Uni verbracht, bin müde und nehme ein Stück Krankheit mit mir.

Im Gespräch mit Kommilitonen – auch anderer Universitäten – habe ich mit der Zeit begriffen, dass es nur ein Mittel zum Überleben gibt: Korruption! Und am Ende gibt sich niemand mehr Rechenschaft darüber wie er eigentlich mit dem Geld umgeht. Ich leide unter dieser Feststellung! Hat unsere Regierung eigentlich eine Ahnung, was in ihrem Land geschieht? Ich kann nur eines sagen, wer in einem Land wie meinem – im Congo – studiert, ist der blanken Not ausgesetzt. Wer sieht und hört, was hier täglich geschieht? Ich sehe, wie die Jungen unseres Landes gefährdet sind! Und kann selber nichts daran ändern? Oder doch indem ich schreibe und darauf aufmerksam mache?!

Jetzt schliesse ich mein Studium ab, ich möchte gerne doktorieren – doch woher die Mittel für dieses weitere Stück Weg? Ich habe den Willen, die Sorge, ich möchte weitermachen – doch die Mittel fehlen. Oder wird es mir gelingen, zu doktorieren und zu einem Rufer für die congolesische Jugend zu werden? Ich fühle nur diesen einen Impuls, ich möchte schreien.

Mittwoch, 1. Januar 2014

Unheimlicher Jahreswechsel

en français...

Heute am Montag, den 30.Dezember haben wir die Gelegenheit, nachdem wir während zwei Monaten privat bei unseren Freunden Alfred und Lily Mbuta wohnen konnten, ins Guesthouse der Baptistenkirche - es liegt zentral in Flussnähe - zu zügeln. Beim Wegfahren erhalten wir noch die Mitteilung, der TV-Sender der Stadt sei von Unbekannten angegriffen worden. Da dieser Stadtteil ein Stück weit weg ist, fahren wir dennoch los. Doch bereits auf dem Weg wird bei einem Stau viel Aufregung auf den Gesichtern und an den Bewegungen der Menschen sichtbar. Unser Chauffeur erkundigt sich bei der Stadtpräfektur. Die Nachrichten sind beruhigend. Also fahren wir weiter. Auf dem grossen Platz Kintambo-Magasin ist die Aufregung dann erheblich. Wir passieren die Hauptstrasse (Ost-West-Richtung, dem Congofluss entlang), eine Viertelstunde später werden dort Flüchtende verfolgt. Es ist uns gut gegangen, denn noch knapp zwei Stunden danach sind immer wieder Schüsse zu hören!

Durch die Nachrichten erfahren wir, dass eine Gruppe „fanatischer Leute“ - der Sprecher nennt sie Terroristen - an drei Orten der Stadt nebst dem TV-Sender auch auf den Flughafen und das Oberkommando der Armee gewalttätige Übergriffe gemacht hätten. Die rasche und unzimperliche Reaktion der Polizei und der Armee machen mit den jungen Leuten kurzen Prozess, die meisten werden gleich erschossen, an jedem der drei Orte sind es je um die zehn Personen... Anführer dieser sinnlosen Taten sei, nach den Gerüchten, der selbsternannte Prophet Mukungu Bile, der in der Öffentlichkeit immer wieder durch seine Kritik am Staatspräsident aufgefallen ist. Er selber hat sich an einen unbekannten Ort abgesetzt, nachdem andere – es sind meist Frauen! - für seine Ideen mit dem Leben bezahlt haben! Eine unfassbare Tat, weil apriori klar sein musste, dass keine Chance bestand am status quo etwas zu ändern. Sie ist nur verständlich auf dem Hintergrund der „messianischen“ Erwartungen, die so viele Menschen an die selbst ernannten Propheten haben. Die Armut ist so immens, dass sich die „Wundertäter“ rasant vermehren. Und das gross-spurige Auftreten der Prediger gewisser "Eglises de réveil" hält an. In vielen Quartieren ist alle 50m eine solche Kirche zu finden.

Doch zurück zu den Ereignissen. Die Aufregung für die Menschen hier in der Stadt ist gross. Wir sind ebenfalls aufgewühlt und in Spannung, bis wir dann Genaueres erfahren. Aus allernächster Nähe sind immer wieder Schüsse, die auf Menschen gerichtet sind, zu hören, ist unheimlich. Wir sind sehr froh, dass nicht noch mehr Schlimmes passiert ist und sehr dankbar, bewahrt worden zu sein.

Seit dieser Aufregung sind wir daran, uns im neuen Appartement einzurichten. Da ist noch einiger alter Dreck und jetzt noch solcher vom Umbauen. Beatrice hat Mühe damit. Es gilt also noch eine kleine Durststrecke zu überwinden. Wir sind müde. Doch schon bald beginnt alles seinen Platz zu finden und wir fühlen uns sehr wohl. Wir haben jetzt ein grösseres Stück Unabhängigkeit, können morgens und abends selber kochen, haben einen einigermassen grünen Umschwung. Das ist gut und wir sind froh, diesen Schritt gemacht zu haben.

Privat zu wohnen hat uns den hiesigen Menschen sehr nahe gebracht, eine wichtige und für uns wertvolle Erfahrung, so viel Armut, so viel Abfall auf den Strassen, so viel Hoffnungslosigkeit, enttäuschte Kinder, die wegen Geldmangel nicht zur Schule können, so viel Risikobereitschaft auf der Strasse (hier kann der Chauffeur endlich einmal den Meister zeigen!), die gejagten Fussgänger, die Geschichten mit Verdächtigungen: XY ist eine Hexe oder verhext u.a.m. hautnah kennen zu lernen. Das Fühlen der Armut, hat uns in diesen acht Wochen bewegt und insbesondere auch die Tatsache, dass wir all dem nicht ausweichen konnten und wollten.

Jetzt ist deutlich, dass wir eine Erleichterung brauchen. Grégoire, der Leiter des Guesthouses ist rührend besorgt um uns, damit alles in unserer kleinen Wohnung klappt. Das ist wunderbar. Unsere Dusche spendet öfter wenig Wasser, die Notstromgruppe ist auch da, damit wir nicht einen Abend lang im Dunkeln bei Kerzenlicht dahindämmern.

Heute ist der erste Januar: hier wurde die ganze Nacht mit fröhlichem Gesang, wilden Ansprachen und enorm verstärktem Schlagzeug- und Trommellauten gefeiert. Nachdem wir genug hatten, sind wir um 11 h ins Bett geschlichen.
kv